Das frivole Spiel
Vorhang auf !

Ich vergleiche unser soziales Dasein in der Gesellschaft mit einer Bühne, auf dem ein Theaterstück - "Das frivole Spiel" - gespielt wird. Jeder hat seine Rolle in diesem Stück. Teilweise ergibt sich diese aus anscheinend impliziten Notwendigkeiten des Stücks selbst, teilweise wird sie durch Interaktionen anderer Figuren in diesem Stück bewußt oder unbewußt bestimmt und zu einem guten Teil sucht man sich die jeweilige Rolle auch selbst aus.
Man sucht sich auch aus, wie man diese Rolle spielt. Manchmal sehr bewußt, oft genug jedoch auch gänzlich ungewollt - durch Trägheit, Unachtsamkeit oder Überforderung in einer Szene des Spiels. Jeder nimmt ungefragt an diesem Stück teil und formt damit "das frivole Spiel". Es ist das, was gemeinhin in der Alltagssprache als "das Leben" bezeichnet wird.

Doch diese Bühne, auf der das Stück aufgeführt wird, hat auch einen Rand. Und jeder hat die Möglichkeit diese Bühne zu verlassen, und das Stück von den Publikumsrängen aus zu verfolgen. Und jeder tut das gelegentlich. Sei es in der U-Bahn, wo man voller Anteilnahme oder aber verständnislos ein Streitgespräch, einen Flirt, oder was immer eben auf diesem Teil der Bühne gerade stattfindet, beobachtet und mit einem Schmunzeln, mit Wut oder Sarkasmus kommentiert.

Sei es die Philosophie, die einen Leitfaden für das Spiel zu ergründen versucht, sei es die Literatur, die mögliche Episoden zu beschreiben versucht, sei es die Wissenschaft, die die impliziten Notwendigkeiten des Spiels und der Bühne zu ergründen versucht. Sei es die Politik oder die Religion, die Regeln aufzustellen versucht, wie das Spiel zu spielen ist und uns durch das Versprechen eines "Happy Ends" auf ihre Seite ziehen - und uns unsere Rolle vorschreiben will.
Doch den Meisten, so scheint mir, tritt es nicht ins Bewusstsein, dass sie in eben diesen Momenten auf der anderen Seite stehen.

Wie sehr beneide ich jene die dieses Spiel nicht als solches sehen. Jene die ihren blinden Fleck genau an der richtigen Stelle sitzen haben. Mir ist dieses Bewusstsein tief in meine Gedankenwelt gedrungen. Ich sehe mir selbst zu und empfinde mich in meiner Rolle lächerlich, so wie ich das ganze Spiel lächerlich finde.

Doch was ist denn so lächerlich an diesem Spiel?
Nun, ich denke es ist in erster Linie die Ernsthaftigkeit, mit der es gespielt wird. Doch womit ist so eine Verbissenheit gerechtfertigt? Bei einem Spiel, in dem es nichts zu gewinnen gibt ? Es gibt weder ein glückliches noch "tragisches Ende". Es gibt nur 1 Ende. - den Tod. Dieser Ausgang ist gewiss, egal was wir uns vormachen wollen.

* * *
Gibt es wirklich nichts zu gewinnen? Man kann Punkte machen, Gegner schlagen, Erfolge geniessen - genauso wie man Punkte verlieren, in Schlachten unterliegen und Niederlagen erleiden kann - aber zu gewinnen gibt es nichts. Denn es ist uns nicht gegeben aus dem Spiel als Gewinner oder Verlierer auszusteigen. Wir müssen unseren Part bis zum Ende spielen, oder vielmehr geht er unweigerlich zu Ende mit und ohne unserem zutun und ohne einen Ausgang im Sinne eines Gewinns oder Verlustes. Und eben das macht uns solche Angst vor dem Ende. Wir wollen unbedingt gewinnen und wissen im tiefsten Inneren, dass das nicht möglich ist. Also versuchen wir das Ende so lange wie irgend möglich hinauszuzögern oder aber es mit Gewalt herbeizuführen.

Ich weiss nicht wann ich mich das erste mal über den Rand der Bühne gebeugt habe, aber ich bin dabei wohl hinunter gefallen.

[DeSolati 5.06]


Juliette Janson
femme, film '2 ou 3 choses que je sais d'elle', Godard 67'


Zwischen Auge und Objekt fällt der Schatten. Und dieser Schatten ist das vorher aufgenommene Wort. Zerschneiden Sie die Texte, die Sie lesen, oder die Fotos, die Sie sehen, oder den Film. Der Terror wird sichtbar.

"Ich kann nichts mehr sehen" schrie der Mann, "überall Zitate!". Er fiel in sich zusammen.
"Klarer Fall... abtransportieren!" sagt lächelnd der Chef der Gehirnpolizei, ein blinder Fleck, der die Vergangenheit besetzt hält.

[...]

Und das ist der Irrtum Godards: daß Denken Zärtlichkeit sein könnte im gegenwärtigen Gesellschaftszustand, während es der Zementmixer ist, der die Bilder durcheinanderwirbelt und aufspeit als gefrorene Momente, wenn jeder sieht, was jeder auf der Gabel hat.

Es ist sehr wenig.
Allenfalls ein grobmaschiger Pullover, durch den ein BH verwischt zu erkennen ist.

Rolf Dieter Brinkmann, Kölner Stadt-Anzeiger, 11. Jänner 1969

- WÖRTER SEX SCHNITT





Rolf D. Brinkmann
* 1940 - +1975 in a car crash in London (oh!)
German writer and poet
influences by American underground literature
introduced the Beat culture to Germany in 1969
<ACID>
posthumely awarded with the 'Petrarca-Preis'
...definetely has been dexxed