Portrait par Marie Laurencin. Vers 1908

Platz 17:

Guillaume Apollinaire. Alcools (1913)

Nummer 17 bin immer noch nicht ich, aber das ist mir egal: Ich werde meine Kummer im Alkohol ertränken. Das ist eine geschickte Überleitung zu Alcools, der Gedichtesammlung von Guillaume Apollinaire (1880-1918), einem der schönste Gedichtbände, die jemals, alle Jahrhunderte zusammengenommen, in französischer Sprache geschrieben wurden.

Warum Alcools mit "s" ? Weil Wilhelm Apollinaris Kostrovitzky, genannt Guillaume Apollinaire (für Freunde "Kostro") nicht nur Pole (also Alkoholiker), sondern auch Kubist war: Er wollte die Welt in allen ihren Facetten, unter allen Blickwinkeln beschreiben. Wie für Picasso (oder später Perec) bekommt für ihn alles ein "s" am Ende. Die Schönheit muss zwangsläufig im Plural stehen, so wie heutzutage beispielsweise die französische Regierungslinke.

Dieses Buch enthält alles: unmögliche Liebe, unausweichlichen Tod, unvermeidliche Trunkenheit, formale Neuerungen (keinerlei Zeichensetzung, isolierte Verse, zufällige Reime, gewisse Freiheiten in der Metrik), unmittelbar eingängige Klassiker wie Le Pont Mirabeau, Deutschland, wo Apollinaire sich 1901 aufhielt, und vor allem enthält es unsterbliche Sätze, die jeder auswendig lernt, ohne allerdings immer zu wissen, dass sie von ihm stammen: "Mein Glas ist zersprungen wie des Lachens Hall", "Und mein Leben verzehrt deiner Augen Gift", "Und vergiss nicht, ich warte auf dich", "Wie langsam ist des Lebens Schritt / wie drängend der Hoffnung stürmischer Ritt"....

Bei diesem letzten Reim möchte ich mich etwas aufhalten - nicht um mich wie die Französischlehrer aufzuführen, die einem die Gedichte verleiden, indem sie sie auseinander nehmen - Scheiße! Ein Gedicht ist doch kein Frosch, den man im Biologiepraktikum seziert ! - sondern um Ihre Aufmerksamkeit auf seinen Klang zu lenken: "Wie langsam ist des Lebens Schritt / wie drängend der Hoffnung stürmischer Ritt". Das ganze Geheimnis der Poesie liegt, wie mir scheint, in dem verschrobenen Einfall, zwei einander ähnelnde Klänge mit genau entgegengesetzter Bedeutung zusammenzubringen. Ebenso hören wir in dem Vers: "Die Tage vergehn noch gehör ich zur Runde" ganz deutlich "geh ich zugrunde". Katastrophaler Zusammenprall, gemächlicher Schritt des Lebens gegen stürmischen Ritt der Begierde, Leben gegen Tod, und das Ganze nur erdichtet, um Marie Laurencin, dieselbe, um die es auch in Joe Dassins "L'ete indien" ging, rumzukriegen! Genau dazu dient sie nämlich, die Poesie !

"Hört meinen Gesang allumfassender Trunkenheit", sagt uns Apollinaire, ja, hören wir ihn, diesen Zigeunersaufbold, mit siebenundachtzig Jahren Abstand bleibt seine Poesie ein Wortalkohol, ein sprachliches Trinkgelage, ein Exzess des Vokabulars, eine semantische Orgie. "Berauscht euch" sagt sein Idol Baudelaire, lest Alcools, Aspirin in greifbarer Nähe, an seinem Grab auf dem Pere-Lachaise! Dieses Meisterwerk hat allen Dichtern des 20. Jahrhunderts einen Kater verpasst, vor allem den Surrealisten, die Apollinaire alles verdanken, nicht nur, dass er dieses Wort erfand ("surrealisme", also "über dem Realismus", schrieb er 1917 im Programmheft zu Parade, einem Ballett von Cocteau, Picasso und Satie). Apollinaire führt Rimbaud zu Aragon; alt und modern zugleich, schreitet er voran gegen die verfliegende Zeit. Man weiß nicht, ob es in der Kunst einen "Fortschritt" gibt, auf jeden Fall aber scheint Apollinaire den Schmilblick deutlich vorwärts gebracht zu haben. Bei seiner Heimkehr aus dem Ersten Weltkrieg konnte er "mit einem Lächeln sterben": Auftrag ausgeführt.

Kennen Sie das Geheimnis des ewigen Lebens ?

"Was noch nicht existiert, tot ist nur das;
im Glanz des Vergangenen ist das Morgen blass.
"

Man braucht nur so etwas zu schreiben, und schon ist man unsterblicher als die komplette Academie francaise alle Mann hoch in ihrem lächerlichen Aufzug.

Eines Tages werde ich, wenn ich Zeit habe, eine Gedichtesammlung mit dem Titel "Cocktails" (Geköpfte Sonne) schreiben.

[Frederic Beigbeder]

- TO THE HAPPY MAN


Frederic Beigbeder
'Dernier inventaire avant liquidation'
Editions Grasset & Fasquelle
2001

 
Antananarivo (Madagascar)
from http://www.elve.net/padv

La vache qui rit

'La Vache qui rit' was registered as a trade name by Léon Bel on 16th of April 1921. In the beginning she wasn't laughing, she wasn't red and she didn't wear ear-rings. That was only from 1924 on..."

Für all jene, die gerne an slowakischen Busen schmusen und mit uns die pelusische Wiese besetzt halten;
Für alle, die ihre Menagen in der Manege finden, und sich dabei auch auslachen lassen - denn sie wissen schon warum;
Für euch also, die ihr lieber in Irrglauben und Wahnwitz verweilt:

Auf die Bastionen
Wir uns erheben
Wollen uns nicht schonen
Für Freiheit und Leben:
Lassen uns verderben
Die Knochen und sterben !


- SMILE OF THE MONTH




Petite histoire


The Big Gundown (1984)

John Zorn Plays The Music Of Ennio Morricone
Tzadik


Immer wieder muss ich mit Bedauern feststellen, dass manche Leute diese Platte nicht so sehr lieben wie manche andere. Dabei umfasst die Musik von Morricone remixed by Zorn doch das gesamte emotionelle und intellektuelle Spektrum aller unserer Lieblingsthemen: Sich hassen und sich gegenseitig niederschiessen ("The Big Gundown"), sich fürchten, schreien und davonlaufen ("Peur sur la ville"), sich einsam fühlen und weinen ("Poverty"), sich lieben und sich nichts nehmen lassen ("Erotico"), sich freuen und lachen, sterben und neu anfangen. ("Metamorfosi"). Ganz klar also einer der besten musikalischen Begleiter für jene, die diese Grenzen zwischen Leben und Film nicht kennen oder nicht wahrnehmen wollen.


FEATURING

Fred Frith, Arto Lindsay, Bob James, Jody Harris, Anton Fier, Anthony Coleman, Diamanda Galas, Shelley Hirsch, David Weinstein, Bill Frisell, Wayne Horvitz, Christian Marclay, Cyro Baptista, Robert Quine, Marc Ribot, Joey Baron, Jim Staley, Derek Bailey, Tim Berne, Ned Rothenberg, Guy Klucevsek, Orvin Aquart, Vicki Bodner, Polly Bradfield, Greg Cohen, Trevor Dunn, Carol Emmanuel, Mark Feldman, Duduka Da Francesca, Erik Friedlander, Melvin Gibbs, Big John Patton, Luli Shioi, Claudio Silva, Jorge Silva, Toots Thielemans, Laura Biscotto, Miho Hatori, Mark Miller.


- ALBUM OF THE MONTH



John Zorn





Paul Morphy, 1859



Paul Morphy and Felix Sicre, 1859 in Havana


Morphy's watch


Queen Sacrifice

Louis Paulsen - Paul Morphy
First American Congress, New York 1857

For those who still don't know: PAUL MORPHY, born 1837 and died 1884 in New Orleans is still considered one of the greatest chess players; His father came from a distinguished Creole family of Spanisch and Irish extraction, while his mother was French.
As a result of his wealthy background, Morphy had a sound education and he graduated in 1854. His chief attraction then was mathematics and law. His name became well known in the chess fraternity only after his triumph in the American Chess Congress of 1857, where he defeated the German chess master LOUIS PAULSEN, who was then living in the USA. Moreover, Morphy played quickly, as usual, whereas his opponent played very slowly. As the time was not restricted, the games lasted 10-11 hrs. Here is the most famous game, Morphy's first breakthrough and please take care of what Morphy does with his lady...



Louis Paulsen Paul Morphy
1. e2 - e4 1. e7 - e5
2. Sg1 - f3 2. Sb8 - c6
3. Sb1 - c3 3. Lf8 - c5
4. Lf1 - b5 4. Sg8 - f6
5. 0 - 0 5. 0 - 0
6. Sf3 x e5 6. Tf8 - e8
Fehler! Weiß sollte besser 7. Se5 - f3 und dann 8. d2 - d4 spielen.
7. Se5 x c6 7. d7 x c6
8. Lb5 - c4 8. b7 - b5
9. Lc4 - e2 9. Sf6 x e4
10. Sc3 x e4 10. Te8 x e4
11. Le2 - f3 11. Te4 - e6
12. c2 - c3 ? Ein entscheidender Fehler. d2 - d3 wäre besser gewesen.
  12. Dd8 - d3
Dieser Damenzug, womit Schwarz den Fehler des Gegners bestens ausnutzt, hemmt die Entwicklung des weißen Spiels. Man beachte ihn zur Anwendung in ähnlichen Stellungen.
13. b2 - b4 13. Lc5 - b6
14. a2 - a4 14. b5 x a4
15. Dd1 x a4 15. Lc8 - d7
Der Läufer sollte besser nach b7 gehen, um der Dame das Feld a6 abzunehmen.
16. Dd1 x a4. Der richtige Zug wäre Da4 - a6. Weiß erkannte die Drohung nicht.
  16. Ta8 - e8
Die große Bedeutung dieses Turmzuges zeigt sich bald.
17. Da4 - a6. Jetzt falsch. Unbedingt nötig war Da4 - d1 als Maßnahme gegen die Drohung Dd3xf1+.
  17. Dd3xf3 !
Ein glänzendes, durchaus korrektes Damenopfer.
18. g2 x f3 18. Te6 - g6+
19. Kg1 - h1. (Nona..!) 19. Ld7 - h3
20. Tf1 - d1. Schwarz kann nun in 3 Zügen matt setzen durch Tg6 x g1 nebst Te8 - e1+. Der von dem Damenopfer überraschte Paulsen leistet keinen Widerstand. Er kann sich lediglich in ein Endspiel retten, in dem er Tg6 angreift und gleichzeitig f3 deckt. Etwa so: 20. Da6-d3 | f7-f5! 21. Tf1-d1 | Lh3-g2+. 22. Kh1-g1 | Lg2xf3+ 23. Kg1-f1 | Lf3xd1. 24. Dd3-c4+ | Kg8-f8. 25.d2-d4 | Ld1-e2+. 26. Dc4xe2 | Tg6-g1+. 27. Kf1xg1 | Te8xe2.
  20. Lh3 - g2+
21. Kh1 - g1 21. Lg2xf3+
22. Kg1 - f1 22. Lf3 - g2+
Schnellster Weg zum Gewinn wäre 22. Tg6 - g2 gewesen.
23. Kf1 - g1 23. Lg2 - h3+
24. Kg1 - h1. Denn hatten wir schon. 24. Lb6xf2
25. Da6 - f1 25. Lh3 x f1
26. Td1 x f1 26. Te8 - e2
27. Ta2 - a1 27. Tg6 - h6
28. d2 - d4 28. Lf2 - e3



Weiß gibt auf.

 

-GAME OF THE MONTH






Louis Paulsen



Paul Morphy












Zum Spielen:
Dufresne, Mieses:
Lehrbuch des Schachspiels,
Reclam Leipzig





Un flic (1972)

Regie: Jean-Pierre Melville
Spielend: Alain Delon, Catherine Deneuve, Richard Crenna

Der letzte Film von Jean-Pierre Melville. Wie immer bei Melville sind die Rolle von Polizist versus Gangster völlig austauschbar und gleichwertig. Nicht nur dass der Polizist (Alain Delon), die Frau (Catherine Deneuve) und das Publikum (wir) im Laufe des Films durchaus Sympathien für den so offensichtlich Schlechten (Richard Crenna) entwickeln - es bleibt auch nach Ende des Films völlig unklar und offen, wer eigentlich wem überlegen ist.
Im Gegensatz zum Mainstream-Kino amerikanischer Prägung, das komplexe Beziehungen zumeist auf eindeutige Kontrapoden reduziert, und gerne das moralisch gute amerikanische Element am Ende siegen lässt, wird hier ein sehr ambuiges Spiel mit Sympathie, Zuneigung und Identifikation herausgefordert.

In diesem Film wird nur wenig gesprochen und auch nicht viel gemacht, dafür gibt es Geräusche, Stimmungen und Gesten. Es beginnt an einem verregneten Tag in einem kleinen Ort irgendwo an der französischen Atlantikküste. Eine Bank wird ausgeraubt, aber das Vorhaben misslingt. Wunderbar surreale Szene. Einer der Gangster wird angeschossen, wird ins Krankenhaus gebracht, muss aber aus Gründen der Diskretion auch wieder beseitigt werden. Aber das ist eigentlich nur Vorspiel.
Was sich weiter zeigt, ist eine komplexe Menàge à Trois die im Unklaren lässt, wer eigentlich wen manipuliert : Simon, der leitende Gangster (Richard Crenna) besitzt einen Nachtclub in Paris und seine Freundin (Catherine Deneuve) schläft mit dessen bessen Freund, dem intervenierenden Polizeikommissar (Alain Delon). Man hegt Verdacht, trinkt Whisky und spielt Klavier.
Schliesslich geschieht aber doch etwas; Simon stiehlt in einer unglaublichen Action-Szene Heroin aus einem fahrenden Zug, wird gefasst und letztendlich von seinem Freund, dem Kommissar, erschossen.

"Die letzte Einstellung zeigt das Gesicht des Kommissars, der gerade den einzigen Menschen getötet hat, den er nicht verachtet; Wenn dieses Gesicht noch etwas ausdrückt, dann das Gefühl, das Trauer kein warmes sondern ein kaltes Gefühl ist. Jean-Pierre Melville starb am 2. August 1973, kurz nach Fertigstellung des Films, während der Arbeit an einem neuen Drehbuch."

- FILM OF THE MONTH










[ * 1989 - + 2000]

La Citroën XM est née en 1989. "Voiture de l'année 1990", la Citroën XM reçoit quatorze distinctions nationales et internationales. Censée remplacer la CX, cette voiture dessinée par Bertone, etait très innovante en de nombreux points. Le style, le comportement routier, l'agrément d'utilisation de la Citroën XM confortent la place de Citroën sur le marché haut de gamme. En Allemagne, le bi-mensuel "Auto Motor und Sport" décerne à la Citroën XM le prix de la "Voiture haut de gamme la plus importée". Dans son numéro de novembre 1991, "Auto Moto" décerne à Citroën le titre de "roi du Diesel", à la suite d'une analyse comparative portant sur 7 modèles Diesel, directement concurrents dans leurs segments respectifs des Citroën AX, ZX et XM.
Prometteuse automobile, la Citroën XM a malheureusement énormément souffert de ses défauts de jeunesse : les premiers modèles ont été affectés de toutes sortes de disfonctionnements concernant l'électricité, l' hydraulique, la carrosserie. Bien que n'ayant pas de réelle remplaçante, le modèle disparaît en 2000 aux profits de la Citroën C5.

- CAR OF THE MONTH






Cytrynki
Klub Cytrinki

Wysten Hugh Auden (1907-1973)

* 1907 Birmingham, United Kingdom
+ 1973 Kirchstetten (!), Lower Autria

Dass dieser für die anglo-amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts nicht ganz unbedeutende Poet im gleichen niederösterreichischen Nest sein Glück und Ende fand, in dem auch ein gewisser, aber minder begabter JOSEF WEINHEBER einige Jahre zuvor sein Dasein fröhnte, verwundert nicht nur gemäßigte Angehörige mitteleuropäischen Bildungsbürgertums. Bah!
Aber was Auden's Biographie wirklich interessant macht, ist unter anderem die Tatsache, dass er - obwohl vorwiegend dem eigenen Geschlecht zugeneigt - im Jahr 1939 sogar ERIKA MANN (die Tochter von Thomas) ehelichte, um ihr die Flucht aus Deutschland zu ermöglichen, aber auch im spanischen Bürgerkrieg freiwillig als Rettungsfahrer für die Republikaner antrat, um Ambulanzen zu fahren. Kein schlechter Mann!
Im bescheidenen Eingeständnis unserer intellektuellen Unzulänglichkeiten wäre es wohl vermessen, sich hier noch weiter über die literarischen und sonstigen Qualitäten dieses Herrns auszulassen, und deswegen bleibt hier nicht viel Anderes als angesichts der von Auden hinterlassenen Gedanken an eine schon oft gestellte Frage zu erinnern:
Wenn es eine Grenze zwischen Spiel und Ernst gibt ... Wo ist sie ?

"The soldier loves his rifle,
   The scholar loves his books,
The farmer loves his horses,
   The film star loves her looks.
There's love the whole world over
   Wherever you may be;
Some lose their rest for gay Mae West,
   But you're my cup of tea."


[W.H. Auden]

-POET OF THE MONTH



The Specials (1979), UK

Producer: Elvis Costello
Engineer: Dave Jordan

Es gibt gewisse Vorlieben und Prinzipien im Leben, von denen man sich vermutlich nie befreien kann. Dazu gehört unter anderem das Bedürfnis schneller als andere sein zu wollen.
Dank gewisser geistesvewandter Personen, die uns bei solchen und ähnlichen Vorhaben immer schon um einiges voraus waren, haben einige von uns auch recht früh die geeignete musikalische Untermalung für eben jene markanten Schwächen gefunden. Dafür sei gedankt !
Zu den latenten Begleitfaktoren, die man einfach nicht vermissen will, gehört der unbedingt schnelle und moralisch angehauchte Ska jener britischen Combo, den man sich einfach nicht vorenthalten sollte;

"Enjoy yourself, it's later than you think
Enjoy yourself, while you're still in the pink
The years go by, as quickly as you wink
Enjoy yourself, enjoy yourself, it's later than you think
Never right, yes I know
Get wisdom, knowledge and understanding
These three, were given free by the maker
Go to school, learn the rules, don't be no faker
"

- BAND OF THE MONTH